
Dorfladen
D Wätterhäx im Pfaarhof

Chlital – Mättlistei
Die letzte Bärenjagd

Talstation Gietisflue
D Saag vu dr Tyyfelsbriggä

Bergstation Gietisflue
D Bliämlisalp-Sag

Geisshütte Hinter Wang
Ds Sännetuntscheli uf Wyyssäbodä

Materialhütte Vorder Wang
Dr Hund vu Üüri

Picknickplatz Wang
D Sag vum Gräis uf Suränä

Aussichtsbank Schartihöreli
Dr Gränzläüf

Kirchenrüti | Rütlenen
Ds entfiärti Vee

Abzweigung Bodmi | Rütlenen
D Chlaryydä-Sag

Holzerhütte Saum | Rütlenen
Dr erleesändi Kuss

Saum | Bergstation Gietisflue
Dr Wäg i ds Isital
Dr Seewlisee
Dr Abghäüwnig Zopf
Dr Undergang vu Rinderbiäl
Ds Gräis i dr Fisätä
Dr Üürispiägel und dr Tyyfel
Dr Hellgässlihund
Dr wandelndi Chüähirt
Diä dryy starchä Briäder
Vumänä Veneediger
Dr Häxästei
D Wildmanndli im Isital
Ds Wildmanndli und d Gämschi
Chämi üff und niänä a
Dr Fremdi uf em Hag
Dr Manschettler
D Geischtermässä
Sprecher: Walter Sigi Arnold
Musik & Geräusche: Beat Föllmi
Die Wetterhexe im Pfarrhof
Einst hat es im lsental schon längere Zeit nicht mehr geregnet gehabt, und es hat schon überall in den «Perter» (steile Wiesenhänge) arg angefangen zu «brennen» (durch starke Sonneneinstrahlung versengte Grasnarbe, die sich rötlich färbt) Da hat der Pfarrer zu seiner Haushälterin gesagt: «Wir sollten für ein wenig Regen beten!» «Oh, wenn es nur an dem fehlt», hat sie gemeint, «den können wir selber machen», und drückt dem Pfarrer einen kleinen Topf voll Wasser mit drei weissen Bohnen darin in die Hände. «So, jetzt müssen Sie da drin ein wenig umrühren, aber sorgfältig, und aufpassen, dass Sie keine von diesen Bohnen ausschütten.»
Der Pfarrer hat es genauso gemacht, wie sie ihm gesagt hat, und ja, es habe da schön fein zu regnen angefangen. Nach einer Weile hat den Pfarrer doch die Neugierde gepackt, und er hat eine von diesen Bohnen ausgeschüttet. Und im gleichen Augenblick hat es einen schweren Platzregen gegeben, und die Wildbäche rundherum sind bedenklich gestiegen. Wie danach die zweite Bohne auch noch hinausgefallen ist, hat es sogar zu hageln angefangen.
Aber da ist die Köchin schnell durch die Türe geschossen gekommen und hat den Pfarrer gehörig angeschnauzt: «Um Himmels willen, was machen Sie da? Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie dürfen keine von diesen Bohnen verschütten! Wenn Sie jetzt die dritte auch noch ausgeleert hätten, so wäre hier im lsental kein Stein mehr auf dem anderen geblieben.»
Auf das hin habe der Pfarrer seine Haushälterin verjagt. Eine Hexe, habe er gemeint, möge es doch wahrlich in einem Pfarrhaus «nit lyydä» (nicht leiden/ sei nicht tragbar).
Die letzte Bärenjagd
Auf Grund der beglaubigten Unterlagen darf davon ausgegangen werden, dass die aussergewöhnliche Hatz auf einen in Dorfnähe herumstrolchenden Bären am 29. Mai 1820 stattgefunden hat.
Schon geraume Zeit davor sollen die Bewohner des Isentals durch ein Raubtier beunruhigt worden sein, das ihnen zuweilen bedeutenden Schaden zufügte und sich mittlerweile als ausserordentlich grosser Bär entpuppte. Alle eingeleiteten Nachstellungen blieben zunächst erfolglos. Als dann aber die immer grösser werdende panische Angst dermassen um sich griff, «dass mä sich dryy Wuchä schiär nimmä us èm Hüüs üsä trüüwt het» und ohne Begleitung durch Erwachsene kein Kind mehr ins Dorf gehen durfte, da wurde der Beschluss gefasst, den Bären durch eine gezielte Treibjagd aufzuspüren und zur Strecke zu bringen.
Am Abend des 29. Mai 1820 entdeckte dann ein Geissbub «im Wald under èm Hoorä» den ungeheuren Bären. Hals über Kopf rannte er ins Dorf zurück und verbreitete die Furcht erregende Beobachtung. Schnell waren ihrer 14 beherzte Männer zur Stelle und eilten von allen Seiten in den Wald. Dabei soll Karlisepp Infanger trotz seines vorgerückten Alters der Erste gewesen sein, der sich dem aufgebrachten Tier nur 5 Minuten vom Dorf entfernt »im Siti, im Chlyytal, i dr Neechi vum chlyynä Wasserfall», bis auf Schussweite zu nähern wagte. Er war es dann auch, der den ersten Schuss tat; „zmitzt i d Äügä“. Das so getroffene Tier brüllte, „dass d Felsä afa gwagglä hènt und hed so gschtunkä, dass mä s bis i ds Dorf gschmeckt hed und isch drnaa i Bach appä troolet, wo s de nach èm drittä Schuss ändlich tots gsy isch».
Am nächsten, oder nach anderen Quellen doch erst am übernächsten Tag wurde der Bär, der es gewichtsmässig auf gute 265 Pfund brachte und „nichts im Magen, wohl aber noch etwas Schafwolle im Darmkanal“ hatte, im Triumph nach Altdorf gebracht, wo er gebraten und auch „verkostet“ wurde. Das Fleisch soll zwar von weisser Farbe gewesen sein, jedoch „ekelhaft süsslich“ geschmeckt haben.
Übrigens baumelten bis 2003 die beiden Pranken des erlegten Bären als Jagdtrophäe an einer Kette über der Eingangstreppe des «Sagerhauses» neben dem Schulhaus in Isenthal. Heute sind die restaurierten Bären-Tatzen im Schaufenster – vis-à-vis der Bushaltestelle Dorf zu bewundern. In der Bärenstation 6, beim Picknickplatz Mättlistei kann man im Bärenhäuschen per QR-Codes zwei Videos «Der letzte Bär» geniessen.
Die Sage von der Teufelsbrücke
Als die Urner den Weg über den Gotthard gebaut haben, sind sie gut vorangekommen, bis sie zur Schöllenen hinaufgekommen sind. Dort hat in der tiefen Schlucht unten, zwischen ausgewaschenen Felswänden und gewaltigen Steinbrocken, die wilde Reuss mächtig getost und hoch hinaufgestoben. Und jetzt hätte man da irgendwie über diesen Abgrund auf die andere Seite hinüberkommen sollen, aber wie? Niemand hat weitergewusst, und da habe in der Verzweiflung der Landammann gerufen: «Hier soll der Teufel eine Brücke bauen!»
Kaum hat er das Wort Teufel ausgesprochen gehabt, ist derselbe auch schon leibhaftig vor ihm gestanden. «Ich mache euch diese Brücke schon, ober der Erste, der darauf herüberkommt, der ist dann meiner! Und? Schlagt ein!» Da haben sie so getan, als ob sie überlegen würden. Aber in Tot und Wahrheit hat jeder für sich gedacht: «Eh, mich trifft es ja sowieso nicht.» Und dann hat der Landammann zum Teufel gesagt: «Also gut, es soll so sein, aber in drei Tagen muss die Brücke fertig dastehen!» So sind sie sich einig geworden, und der Teufel hat sich voller Freude über den guten Handel sofort an die Arbeit gemacht. Und wirklich, wie die Urner nach drei Tagen nachschauen gekommen sind, ist die Brücke fixfertig dagestanden und hat in einem schönen Bogen die tiefe Schlucht überspannt. Am anderen Ende ist triumphierend der Teufel gesessen und hat auf seinen Lohn gewartet.
Zuerst haben die Urner noch gemeint, das Warten würde ihm schon noch verleiden, aber wie derselbe keine Anstalten gemacht hat, sich in nächster Zeit von dieser Stelle zu rühren , ist es doch manchem etwas unwohl geworden, und der eine oder der andere hat im Stillen gedacht: «Den Teufel soll der Teufel holen, wenn er nicht bald gehen will!» Aber der ist da schön sitzen geblieben.
Jetzt hat es unter den Urnern ober einen gehabt, der mehr konnte, als nur Brot essen. Und dieser hat zu ihnen gesagt: «Ich habe zu Hause einen furchtbar zänkischen Geissbock. Wenn der an einem Ort zwei Hörner sieht, dann schiesst er sofort darauf los. Wenn wir jetzt den als Ersten über die Brücke schicken, so muss doch der Teufel, ob er jetzt will oder nicht, mit dem zufrieden sein!» Gesagt, getan. Sie haben den Geissbock in die Schöllenen hinaufgebracht, und kaum hat dieser auf der anderen Seite drüben den Teufel gesehen, ist er mit gewaltigen Sätzen über die Brücke direkt auf ihn zugesprungen. Die Urner haben da natürlich eine «Schyyssfräid» (grosse Freude) gehabt und haben hinübergerufen «So, das wäre jetzt der Erste gewesen, den kannst du, wie abgemacht, behalten!»
Da ist der Teufel wütend geworden, ist in den Wassnerwald hinuntergegangen und hat einen haushohen Stein geholt. Mit diesem wollte er die Brücke wieder zusammenschlagen. Wie er mit seiner schweren Last schon beinahe in Göschenen oben gewesen ist, ist ihm ein altes Mütterchen begegnet und hat zu ihm gesagt: «Ach , guter Mann, eilt es jetzt gerade so? Ihr keucht euch ja zu Tode. Wollt ihr nicht einmal ablegen und ein wenig verschnaufen?» Der Teufel hat gedacht «Ach, die Brücke läuft mir nicht davon» und er hat den Stein abgestellt. Da ist das Mütterchen flink auf die hintere Seite «tyyssäled» (leise schleichen) und hat dort ein feines Kreuz in den Stein gekritzelt. Wie sich der Teufel sein «Päcklein» wieder hat aufladen wollen, hat er sofort gemerkt, dass etwas nicht mehr in Ordnung ist. Er hat den Stein auf alle Seiten gedreht, und wie er das Kreuz gesehen hat, hat er Stein und Brücke sein lassen und machte sich, so schnell er konnte, auf und davon.
Seit dieser Zeit, sagt man, habe er sich im Urnerland nicht mehr gezeigt. Aber den Teufelsstein, den kann man noch heute bei Göschenen oben besichtigen.
Die Sage erzählt, dass der Senn der Blüemlisalp auf dem Weg zum Urirotstock einen Frevel gegen die Mutter und gegen Gott beging, worauf die fruchtbare Alp unter Eis und Schnee begraben wurde. Seine getaufte Kuh muss heute noch über den Gletscher wandeln und soll dadurch befreit werden können, wenn sie an Karfreitag gemolken wird, bis ihre schwarze Milch weiss ist. Ein Versuch eines mutigen Bauern schlug einst fehl.
«Die Claridensage wiederholt sich mit geringen Änderungen auf der urnerischen Blüemlisalp, einem muldenförmigen, mit Schnee und Eis gefüllten Tale auf dem Uri Rotstock. Der gegen seine Mutter hartherzige, gegen die Liebste aber verschwenderische Senn habe sogar seine schönste, nämlich die «Treicheln-Kuh», christlich getauft und sie Bäbi genannt. Sogleich wurde die ganze schöne Alp in einen traurigen Firn verwandelt. Seither gab die Kuh ganz «schwarz-zäggeti» Milch. Noch immer soll sie wandeln auf dem Firn und von Geistern gemolken werden. Am Karfreitag, während in der Tal-Kirche die Passion gelesen werde, lasse sie sich sehen, ganz zahm auf dem Firn daher gehend. Würde sie um diese Zeit gemolken, bis sie weisse Milch gäbe, so wäre sie erlöst, der Firn ginge weg, und die Alp stünde wieder gras- und blumenreich da.
Ein entschlossener Bauer habe es einst probiert. Er sei mit einem grossen Eimer, einem Melkstuhl und Melkschutz an die Kuh hin, die sich friedlich dazugestellt habe. Das Euter war warm, die Milch schwarz und «zäggät». Bald wurde das Euter wärmer, die Milch braunrot, dann jener heiss, dieses rot. Endlich erreichte das Euter die Gluthitze und schon spielte die Farbe in Rosenrot hinüber. Der Melkschutz aber war am Zerrinnen. Nur noch ein wenig ausgeharrt mein Senn! Doch leider, die Hitze war ihm zu gross, er sprang fort. Das arme Tier, der Erlösung so nahe, fiel um und sprang wieder auf, brüllte und heulte verzweifelt.
Das Sennentunscheli auf Wyyssenboden
Den zwei Knechten und dem Senn auf Wyyssenboden ist es eines Sommers offenbar zu langweilig geworden und sie haben zueinander gesagt: «Ah, wir sollten doch auch eine Frau bei uns hoben.» Und dann sind sie daran gegangen und haben aus Flicken und Lumpen einen «Tittitolg» (Puppe aus Lumpen) zusammengeflickt, haben ihm Frauenkleider angezogen und ihm den Nomen Zurrimutzi gegeben. Wenn sie gegessen haben, haben sie ihm den Reisbrei oder die geschlagene Nidel ins Gesicht gestrichen und zu ihm gesagt: «Da, friss auch!» Und wirklich, eines Tages hat die Puppe zu essen angefangen und ist immer munterer geworden und hat sogar angefangen zu reden, aber nur mit dem Senn.
Von da an ist das Zurrimutzi für sie zur Haushälterin geworden. Es hat für sie gekocht, gewaschen und geflickt und hat ihnen sogar geholfen, das Vieh zu versorgen. Dies alles hat den dreien natürlich schon gepasst, und sie haben mit dem Tunscheli allerlei «Gugelfüär» (Scherz, Spass) getrieben und haben es abwechslungsweise zu sich ins Bett genommen.
Wie es dann ober auf den Herbst zugegangen ist, hoben sie zueinander gesagt: «Der <togge!> (die Puppe) muss dann dableiben, den nehmen wir nicht mit uns.» Am Abend, bevor sie von der Alp gegangen sind, hat er ihnen noch geholfen, das Vieh zusammenzutreiben. Aber wie sie am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe, mir nichts, dir nichts, weggehen wollten, hat er sich in seiner ganzen Grösse vor sie hingestellt und sie angeredet: «So, den ganzen Sommer habe ich euch geholfen zu arbeiten und zu werken, und ihr habt ein <floonerlääbä> (floonä: nichts tun) und euren Spass an mir gehabt. Jetzt gehört mir auch eine Freude. Ich muss freilich dableiben, aber einer von euch auch!» Da sind sie dumm drangewesen, aber es hat kein Entkommen mehr gegeben. Und so haben sie das Los gezogen und es hat sich ergeben, dass es den Senn getroffen hat. Die andern beiden hat das Tunscheli gehen lassen, ihnen ober verboten zurückzuschauen, solange sie noch auf dieser Alp seien. Da sind die zwei losgezogen und haben den Senn alleine bei dem Tunscheli zurückgelassen. Und wie sie beim Grenzstein vorbei gewesen sind, drehen sie sich um, und da sehen sie, wie das Zurrimutzi und der Senn auf dem Hüttendach miteinander schwingen. Nach einer Weile wird der «Togge!» Meister über den Senn und wirft ihn vom Dach herunter. Er springt ihm nach, kniet auf ihn drauf, nimmt sein Messer hervor und «schindet» (die Haut abziehen) den Senn bei lebendigem Leib und breitet die blutige Haut auf dem Hüttendach aus.
Der Hund von Uri
Die Alp Chammli im Schächental ist früher noch viel grösser gewesen. Da hat nämlich auch noch die «Scharhorätäiffi» (Scharhorntiefe) dazugehört, die jetzt von einem Gletscher und von Moränenschutt zugedeckt ist. Damals hat man aber noch ohne weiteres, sogar mit Vieh, über die Chammlilücke noch Graubünden laufen können. Dort hat es aber eine Räuberbande gehabt, die oftmals herübergekommen ist und den Urnern Vieh gestohlen hat. Sie sind ihrer so viele gewesen, wie es Karten im Kaiserspiel hat, nämlich achtundvierzig. Und sie haben sich auch nach diesem Kartenspiel die Namen gegeben. Also etwa: «Roosä Süü», «Aichlän Under», «Blass», «Mugg», «Feen» usw. Zur gleichen Zeit haben die Urner auf Chammli einen Knecht gehabt, der wie ein Hund hat laufen können, weil er keine Milz mehr gehabt hat. Sie sei ihm, wie die einen sagen, herausgeschnitten worden, oder wie andere behaupten, habe er sie bei der Geburt erbrochen, gekotzt. Den Bündnern ist er wohlbekannt gewesen, und sie haben ihn nur den Hund von Uri genannt.
Eines Nachts, als derselbe Knecht auf Chammli schon geschlafen hat, sind die Räuber gekommen und haben alles Vieh gestohlen und in ihren Schlupfwinkel gebracht. Die Urner haben nicht lange überlegen müssen, wer das hätte sein können, und haben sich aufgemacht, ihr verlorenes Eigentum wieder zurückzuholen.
In einer stockdunklen Nacht, da die Räuber in ihrem Versteck im «Oobergaadä» (Heudiele) schon geschlafen haben, sind sie gekommen, haben Wolldecken auf die Pflastersteine vor dem Stall gelegt, dem Vieh die «Tryychlä» und «Schallä» (zwei Arten von Kuhglocken) abgenommen und haben es heimlich hinaus, über die bedeckten Pflastersteine, fortgetrieben. Nur der Hund von Uri ist zurückgeblieben und hat währenddessen von Zeit zu Zeit etwas mit einer kleinen «Tryychlä» geschellt, wie es das Vieh gewöhnlich beim Schlafen und Verdauen auch macht. Erst als die Urner mit ihrer Habe weit genug entfernt gewesen sind, hat er aufgehört zu schellen und ihnen hinaufgerufen: «So, das Vieh wäre fort, wenn ihr jetzt noch den Hund von Uri wollt, so kommt herunter, aber ein bisschen schnell!» Doch, doch, da seien sie dann schnell aufgewacht und aus dem «Oobergaodä» herausgekommen. Sie seien gekommen wie die Bienen. Vorneweg der «Schalläpanggi» (Schallen-Bauer, Spielkarte), der sich dabei ein Bein gebrochen hat, wie man es ja noch heute auf den Jasskarten sehen kann. Aber den Hund von Uri hoben sie nicht mehr einholen können.
Die Bündner haben da natürlich Rache geschworen und sind im nächsten Sommer einmal, als der Hund von Uri gerade in Unterschächen Einkäufe gemscht hat, heimlich wieder auf Chammli geschlichen gekommen und haben den Senn, der gerade alleine beim Käsen in der Hütte gewesen ist, gepackt und haben ihn lebendig über dem Feuer braten wollen. Den sicheren Tod vor Augen, fleht sie dieser an, sie möchten ihm doch noch einen letzten Wunsch erfüllen und ihn noch einmal «pichlä» (Pichel: alphornähnliches Instrument) lassen, und zwar so lange es seine Kraft zulasse. Dagegen haben sie nichts einzuwenden gehabt, und da hat er mit aller Kraft angefangen, seinen Pichel zu blasen, so dass es weit ins Tal hinaus zu hören gewesen ist: «Unsere die grosse <tryychelchüä> (beste Kuh, Leitkuh mit Glocke) will dem Bündnerlande zu!»</tryychelchüä>
Jetzt hat dieser Senn aber in Unterschächen einen Schatz gehabt, der seine Tonsprache verstanden hat, und wie jener beim Kirchgang die Botschaft gehört hat, haben sie sofort Alarm geschlagen im Dorf, und ein Trupp Leute, allen voran der Hund von Uri, ist los gegen Chammli zu, um dem Senn zu Hilfe zu kommen. Aber der ist in der Zwischenzeit, ermüdet vom «Pichlä», zusammengesackt und von den Räubern am «Turner» (drehbarer Käsekesselhalter) über dem Feuer aufgehängt worden. Er ist schon bewusstlos gewesen, als ihn der Hund von Uri gefunden hat. Ein paar Augenblicke später, und er wäre nicht mehr zu retten gewesen.
Weil aber weder Mensch noch Vieh vor dieser Räuberbande sicher gewesen ist, haben die Urner zu Gott gebetet, er möge doch Gletscher über diese Ubergänge wachsen lassen. Und so ist es dann auch gekommen. Und darum eben sind so viele Berge und Kulmen bei uns von ewigem Schnee und Eis zugedeckt.
Das ist jetzt viele Hundert Jahre seither, da hat ein Bub die Schafe in der Surenen «ghirtet» (füttern, zur Weide treiben usw.). Damals hat die Alp noch den Engelbergern gehört. Wenn er jeweils nichts mehr zu essen gehabt hat, hat er für gewöhnlich etwa ein Schaf geschlachtet und ist, wenn er ein paar Schaffelle zusammen gehabt hat, mit denen gegen Urseren zu und hat sie dort gegen Käse und Zieger getauscht. Da sind einmal auch gerade ein paar Händler mit Schafen aus dem «Wälschland» (hier: Italien) dort gewesen. Das muss eine ganz besondere Sorte Schafe gewesen sein, auf alle Fälle haben sie dem Bub unvorstellbar gut gefallen, jedenfalls mehr als seine, und er hätte noch so gerne eines mit sich genommen. Besonders das eine junge Schäfchen hat es ihm angetan, und er hat die Händler angeredet und sie gefragt, ob er das nicht haben könne? Aber die haben nur gelacht über ihn und gemeint: Er habe ja sowieso kein Geld und er sei doch nur ein Bettelbub! Der Surener Hirt hat aber nicht lockergelassen und so lange «gmiädet» (unaufhörlich bitten) und auf sie eingeredet, bis sie endlich nachgegeben haben «Gut, wenn du jetzt hier auf der Stelle hinkniest und einen Rosenkranz betest, dann kannst du das Schäfchen mitnehmen.» Er habe ihn zwar von der Mutter einst gelernt, aber wenig geübt, hat er gemeint. Und danach hat er angefangen und ist jedenfalls irgendwie zu Ende gekommen mit seinem Rosenkranz und hat auch wirklich das Schäfchen von den Händlern bekommen und ist überglücklich mit ihm seiner Alp zu.
Von da an hat es für ihn nur noch ein Wesen gegeben, und er hat angefangen, das Schäfchen zu verwöhnen. Es hat mit ihm zusammen essen müssen, in der Nacht hat er es zu sich ins Bett genommen und den ganzen Tag hat es um ihn herum sein müssen. Den anderen Schafen hat er nichts mehr nachgefragt. Seine Liebe zu diesem Tierchen ist so weit gegangen, dass er eines Tages gedacht hat, es sollte doch noch getauft werden, schliesslich sei er es ja auch. Da zog er los über die Surener-Ecke nach Attinghausen hinunter, ist dort in die Kirche hinein, hat den Taufstein aufgebrochen, das «Gsäggnet» (Weihwasser) daraus genommen und ist mit ihm wieder gegen Surenen gelaufen und hat sein Schäfchen nach dem christlichen Glauben getauft. Oh, wenn er doch das nur nicht getan hätte! Kaum ist die Taufe vorbei gewesen, ist plötzlich ein wütender Sturm aufgekommen, und aus dem braven Schäfchen ist mit einem Mal ein furchterregendes Ungeheuer geworden. Es hat die Alphütte «z Hutlän und z Fätzä» (zu Lumpen und Fetzen: kurz und klein) geschlagen, ist danach auf seinen Meister, den Hirtenbub losgegangen und hat den Sakramentsfrevel auf blutige Art und Weise an ihm gerächt. Von da an hat das Ungeheuer oder Greiss, wie man ihm gesagt hat, weder Menschen noch Vieh auf Surenen geduldet. So ist die Alp den Engelbergern verleidet, und sie haben sie für ein paar «Batzä» (10-Rappen-Münze) den Urnern überlassen. Aber die sind auch gleich «iibelfäil» (ratlos) gewesen, bis ihnen einmal ein fremdes Männlein, das hier unterwegs gewesen ist und von dieser Geschichte gehört gehabt hat, einen Rat wusste.
Sie müssten ein silberweisses Stierenkalb nehmen und das sieben Jahre lang und jedes Jahr an einer Kuh mehr saugen lassen, bis es dann sieben Kühe seien und der Stier sieben jährig. Dann möge er das Greiss in einem Kampf schon meistern. Nach längerem Suchen haben sie dann so ein Stierenkalb gefunden. Und schon nach vier Jahren ist der Stier so stark geworden, dass sich beinahe niemand mehr zu ihm hingetraut hat, und sie haben ihn darum schon mal Richtung Surenen, auf Waldnacht, hinaufgebracht, wo er in einem Stall, dem Stieren-Stall, wie man ihm heute noch sagt, die restliche Zeit weitergefüttert worden ist. Wie die sieben Jahre vorbei gewesen sind, hätte nach dem Rat des Männleins eine Jungfrau in einem weissen Kleid den Stier zu dem Greiss führen sollen. Nachdem sie da endlich eine gefunden hatten, die sich getraute, dies zu tun, sind sie in einer grossen Prozession von Attinghausen gegen Surenen gezogen. Allen voraus die Jungfrau in einem schneeweissen Brautkleid und mit einem seidenen Band in den Haaren. Wie sie gegen den Stieren-Stall kommen, bleiben die anderen zurück und nur die Jungfrau geht zum Stier hinein und bindet ihn, wie vom Männlein geheissen, am Haarband an und führt ihn so in den Kampf. Der Stier, der sonst keinen mehr zu sich herangelassen hat, gehorcht dieser Jungfrau aufs Wort und lässt sich von ihr ohne Weiteres über die Surener-Ecke dem Greiss entgegenführen. Sobald der Stier das Greiss riechen würde, hat das Männlein noch gesagt, solle sie ihn losbinden und danach so schnell sie könne davonlaufen, aber sie dürfe unter keinen Umständen zurückschauen, sie möge hinter sich hören, was auch immer.
Das Volk, in einem sicheren Abstand, wartet unter dem Eck und schaut gespannt in die Richtung, wo es den Kampf vermutet. Da geht auf einmal ein Brüllen und «Müälä» (dumpfes Brüllen) los, und eine Staubwolke steigt auf, dass man beinahe die Sonne nicht mehr sehen kann . Nur ab und zu einen weissen Fetzen vom Kleid der Jungfrau sieht man darin herumfliegen, und dann ist es auf einen Schlag totenstill. Wie es den Rauch und Staub ein wenig abgezogen gehabt hat, sind sie schauen gegangen, was auf dem Kampfplatz passiert ist. Von der Jungfrau ist weit und breit nichts mehr zu sehen gewesen. Das Greiss, vom Stier übel zugerichtet, ist tot gewesen. Der Stier selber, auch tot, ist beim Alpbach, dem Stierenbach, wie man ihm seither sagt, gelegen. Wahrscheinlich hat er nach dem schweren Kampf zu schnell daraus gesoffen. Aber vom Greiss ist die Alp danach befreit gewesen, und zum Andenken daran haben die Urner den Stier in ihr Landeswappen aufgenommen.
Es hat eine Zeit gegeben, da haben die Urner und die Glarner der Grenze wegen immer wieder Streit miteinander gehabt, und sie haben einander Schaden zugefügt, wo sie nur konnten.
Den Herren in Altdorf und in Glarus hat dies nicht mehr gefallen, und sie sind darum zusammengekommen und haben folgendes ausgemacht: Bei Tag- und Nachtgleichheit soll von Altdorf und von Glarus aus ein Läufer losgehen, und dort, wo sie einander begegnen, soll dann die Grenze sein. Es möge herauskommen so oder so. Start für die Läufer soll der erste Hahnenschrei sein.
So haben sie es beschlossen, und jede Partei ist darangegangen, einen Hahn zu suchen, der dann möglichst früh am Morgen krähen würde. Die Urner haben, auf den Rat eines alten Mütterleins, einen überaus erbärmlich mageren Hahn ausgesucht, haben ihn in einem engen Körbchen eingesperrt und ihm nur ganz wenig zu fressen und zu saufen gegeben, in der Hoffnung, der Hunger und der Durst würden ihn plagen und er erwache dann so umso früher. Die Glarner ihrerseits sind gerade konträr vorgegangen. Sie haben den fettesten Hahn genommen, den sie gefunden haben, und haben ihn mit den besten Körnern gemästet, in der Meinung, wenn es ihm wohl sei, würde er stolz und hoffärtig schon in aller Herrgottsfrühe den Morgen begrüssen.
Aber die Urner seien die Schlaueren gewesen. An diesem bestimmten Tag hat ihr Hahn schon gekräht, bevor es richtig zu tagen angefangen hat, und ihr Läufer ging los, dem Klausenpass zu. Währenddem sie in Glarus drüben noch immer um den vollgefressenen Hahn herumgestanden sind und darauf gewartet haben, dass er sich bewege, hat der Urner Läufer schon einen grossen Vorsprung herausgeholt gehabt. Erst als die Sonne schon tief in die Täler hineingeschienen hat, ist auch der Glarner Hahn endlich erwacht und hat ein müdes «Gyggeri-Ggyy» gekräht. Da hat sich auch der Glarner Läufer aufgemacht und ging los wie eine Gämse, über Stock und Stein auch dem Klausenpass zu.
Aber wie er gegen die «Schäidegg» hinaufschaut, sieht er den Urner, der schon den höchsten Grat erreicht hat und jetzt bereits bergab gelaufen kommt. Da wird der Glarner beinahe zu einem Pfeil und rennt mit letzter Kraft dem Urner entgegen und versucht so, für seine Leute noch ein bisschen Boden wettzumachen. Aber viel ist da nicht mehr möglich gewesen, und wie sie einander beim «Staldäheeräli» (Staldenhöreli) getroffen haben, hat der Urner gejubelt und gerufen: «So, hier ist jetzt die Grenze!» Da hat der Glarner zu ihm gesagt: «Ach, höre, hab doch ein bisschen Erbarmen mit mir. Der Teil, den du erlaufen hast, ist so viel grösser als meiner, gib mir doch noch ein Stück zurück.» Aber der Urner hat von diesem Handel nichts wissen wollen. Da hat der Glarner zu «miädä» (unaufhörlich bitten) und betteln angefangen, bis der Urner nachgegeben hat. «Gut, so viel gebe ich dir zurück, wie du mich auf deinem Rücken noch weitertragen magst. Du darfst mich aber nicht abstellen.» Auf dies ist der Glarner noch so gerne eingegangen Er hat den schweren Urner auf den Rücken genommen und ist mit ihm bergan gelaufen.
Ein ganzes Stück weit ist er so noch gelaufen, halb auf den Knien, halb auf allen Vieren, bis er beinahe keinen Atem mehr bekommen hat, und da hat er sich mitsamt seiner Last an einem Bächlein niedergelassen und hat zu trinken angefangen und wahrscheinlich zu schnell daraus getrunken, auf alle Fälle ist er da an Ort und Stelle zusammengebrochen und tot liegengeblieben.
Und so ist das Bächlein, welches man noch heute sehen kann, zum Grenzbächlein geworden, und die Urner sind auf diese Weise zu dieser schönen Alp «Ürnerboodä» gekommen.
Eines Abends haben sie in einem «Staafel» (Alpweide) das Sankt-Johannes-Evangelium oder den Betruf, wie wir sagen, aus irgendeinem Grunde zu rufen vergessen. In der Nacht darauf hat es ihnen das ganze Vieh genommen, und erst am anderen Morgen ist es zuoberst in einem Bergstock auf einem schmalen Felsband draussen wieder aufgetaucht. Aber keiner hätte es gewagt, dort hinaufzugehen und das Vieh zu holen. Da haben die Knechte erst einmal den Bauern Bescheid gegeben, aber die haben auch nicht gewusst, was machen, und sind ebenfalls nur ratlos herumgestanden. Endlich haben sie einen Geistlichen um Rat gefragt, und der hat ihnen Folgendes gesagt: «Ihr müsst jetzt sieben Tage warten, morgens und abends beten und sonst alle Arbeit so machen , wie wenn das Vieh noch da wäre. Am siebten Tag wird es euch rufen, aber passt dann auf, was ihr antwortet!»
Sa haben sie es gemacht, und wirklich, am siebten Tag hat es ihnen vom Bergstock hinuntergerufen und sie gefragt, ob es ihnen alles bringen soll? Da hat ihm der Senn hinaufgerufen: «Ja, aber nur das, was du genommen hast!» Und auf einen Schlag ist das ganze Alpvieh wieder im «Staafel» unten gewesen. Wie das zu- und hergegangen ist, das hat dann freilich keiner sagen können. Hätte der Senn jetzt aber gerufen : Ja es solle alles bringen, so wäre der ganze Bergstock mitsamt dem Vieh heruntergekommen. Das hätte dann ein schönes Durcheinander gegeben.
Von der Claridenalp erzählt man sich eine sonderbare Geschichte, bei der jeder selber für sich ausmachen muss, ob er sie glauben will oder nicht.
Vor Zeiten hat dort ein Senn «galpet» (Alp bewirtschaftet), der zu seinem Vergnügen noch eine Hure bei sich gehabt hol. Kathry hat dieselbe geheissen.
Es ist eine prächtige Alp gewesen, und Gras hat es so viel und so gutes gehabt, dass man die Kühe dreimal am Tag hat melken müssen. Davon hat es da wahrlich eine Menge Käse und manchen Butterballen gegeben. Aber der Senn ist mit diesen Gaben Gottes himmeltraurig umgegangen. Er hat aus den fettesten Butterballen und den grössten Käsen für seine Geliebte einen schönen Weg zwischen dem Käsestall und der Sennhütte gemacht, so dass sie barfuss hat herumlaufen können, ohne etwa in einen Kuhfladen zu stehen oder ihre feinen Füsse an einem Stein aufzuschlagen. Und wie da einmal seine arme alle Mutter zu ihm auf die Alp hinaufgekommen ist, hungrig und durstig, und ihn um ein wenig Speise und Trank gebeten hat, hat er ihr saure Käsemilch gegeben, zuerst aber das bisschen Zieger, das es noch drin gehabt hat, herausgenommen und dafür einen Pferdeapfel hineingetan. Ja, sogar zu seinem Hund Parysi hat er besser geschaut als zu seiner alten betaqten Mutter.
So hat es dieser Senn schlimm getrieben auf dieser Alp und eines Tages in seinem Übermut sogar noch seine beste Kuh getauft und ihr den Namen Brändi gegeben. Auf das hin hat die alte Mutter ihren eigenen gottlosen Sohn verflucht: «Senn Mathys, Hund Parys,
Und noch heute hört man es am Karfreitag von Clariden her rufen: «Senn Mathys, Hund Parys,
Ob diese Geschichte sich tatsächlich so abgespielt hat oder ob sie nur von den frommen Geistlichen erfunden worden ist, um das Volk, und gerade die Sennen auf der Alp, vom Laster der Hurerei und dem Ungehorsam gegenüber den Ellern abzuhalten, das kann ich nun freilich nicht sagen, aber eine Menge Leute meinen, «äs meeg s nit lyydä» (es möge es nicht dulden/ es sei nicht ratsam), an der Wahrheit dieser Geschichte zu zweifeln.
Der erlösende Kuss
Zu dem Geisser von Isental gesellte sich seit einiger Zeit ein gänzlich Unbekannter und half ihm die Ziegen hüten. Das wäre ihm schon recht gewesen, dass aber der ungerufene Gehilfe auch gar kein einziges Wörtlein redete, sich nie zu erkennen gab und nirgends zu erfragen war, das passte ihm auf die Dauer doch nicht. Er dachte, es könnte am Ende noch ein Geist, eine arme Seele sein; von solchen hatte er ja daheim an langen Winterabenden viel reden gehört. Das war früher in Isental so Brauch, am Abend Geistergeschichten zu erzählen, bis die jüngeren Zuhörer Hühnerhaut bekamen, dass man Käs hätte daran reiben können, und sie die Füsse auf die Bänke hinaufzogen und nicht einmal mehr auf den Abtritt (WC) hinaus durften.
Der Geisser ging also zum Ortspfarrer und erzählte ihm alles. Der erklärte, dem Geist sei schon zu helfen, wenn die Geister sich zeigen können, seien sie noch nicht verloren. »Ich werde ihn zitieren, und übermorgen – zu der und der Stunde – wird er dir erscheinen. Aber in keiner schönen Gestalt! Du musst ihm dann unter allen Umständen einen Kuss geben (ihn anreden und ihn fragen, was man für ihn tun könne – Erzählart vom Erstfelder Tal), sonst ist er für immer verloren, und dir wird’s auch nicht gut gehen. Wagst du es aber, ihn zu küssen, so wird er erlöst sein. Was meinst?« »Ich will ihm den Kuss schon geben, «versichert der Ziegenhirt.» «Aber vergiss nicht, er wird dann nicht schön daherkommen«, warnt noch wohlwollend der Geistliche. Jener beteuert hoch und heilig, den Geist unter allen Umständen erlösen zu wollen.
Der anberaumte Tag war da, der Geisser stand bereit im Schartiwald. Jetzt kam auf einmal eine glühende, funkensprühende Gestalt (eine grosse glühende Kugel, Erzählart vom Erstfelder Tal) auf ihn zu. Da vergass er sein Versprechen, seine festen Vorsätze, und voller Schrecken rannte er in grossen Sprüngen davon. Der Geist aber fuhr in die Höhe, und drei Tage und drei Nächte hörte man ihn in den Lüften schreien.
Der Weg ins Isental – oder warum die Leiter im Wappen ist
Diese Sage erzählt über einen fahrenden Schüler, der den Weg nach Isenthal beging. Dabei musste er den steilen und gefährlichen Weg überwinden, der in den Frutt-Felsen gehauen war – und mit Leitern ergänzt wurde. Der «g’fahred Schüeler» wurde von einem Einheimischen geführt, der ihn auf die Gefährlichkeit dieses Wegs aufmerksam machte. Der fahrende Schüler prophezeite, dass niemand auf diesem Weg sterben würde. Und tatsächlich! Bis heute soll noch niemand auf diesem Weg umgekommen sein.
«Friähner het mä-n-ibir-ni Leitärä-n-ufä miässä stygä, wem-mä-n-i ds Isitall innä het wellä. Wäg dem hennt d’Isitaler d’Leitärä-n-im Wappä», so erzählt es eine Volksüberlieferung. Es ist leicht möglich, dass man früher beim Felsenvorsprung bei der Frutt – vor dem Bau der neuen Isenthalerstrasse zu Fuss von Seedorf ins Isenthal-, die Höhe durch eine schmale Treppe oder eine in den Felsen gehauene Leiter überwinden musste. Auch sonst ist der Weg schmal und steil, er führt über bröcklige Schrunden und Risse, und die Füsse rutschen auf dem bald groben, bald feinen Kies nicht selten aus. Himmelhohe Wände starren zu Häupten des Wanderers und senden von Zeit zu Zeit einen donnernden Gruss in Form eines losgerissenen Felsblocks. Auch der blaue See zu Füssen vermag das Düstere der Gegend nicht ganz zu bannen, denn es ist kein Trost, sich sagen zu müssen: «Stürzest du hinunter, so bist du eine Beute des tiefen Wassers.»
Auf der Seewlialp ob Silenen – unter den Felswänden der beiden Windgällen, in einer schönen Mulde – liegt der Seewlisee. Gut geschützt gegen Nordwind und Föhn liegt der dunkle See spiegelglatt da. Man glaubt beinahe, an diesem Ort herrsche nur Frieden und Ruhe. Aber das geschulte Ohr eines Jägers oder eines Ziegenbubs hört von Zeit zu Zeit ein Pfeifen. Gerade wie es Murmeltiere beim Warnen machen. Man hört dazu ein dumpfes Krachen, wie wenn weit weg ein Gletscher abbrechen würde.
Alle 30 Jahre, so sagen die alten Leute, kommt der See über das Ufer. Dann bahnt sich das Wasser zu einem tosenden Wirbel auf und stürzt sich mit Pfeifen und Krachen über die Felswände bis ins Tal und bringt Verderben und Elend. Das Evital bei Silenen legt genügend Zeugnis ab vom unheilvollen Wirken. Das ist die Strafe für eine grosse Sünde, die vor langer Zeit in der Seewlialp begangen wurde.
Dort hat viele Sommer eine reiche Familie gealpt. Es ist eine schöne Alp gewesen, die gutes und melchiges Gras gehabt hat. Sie ist mit den besten Kräutern im Überfluss gesegnet gewesen. Die Kühe hatten rings um die Hütte genug zu fressen und man musste nicht stundenlang in die stotzigsten Planken zu den abgelegensten Plätzen laufen, wo man sie erst noch den ganzen Tag hüten musste. Auf dieser Alp ist die Milch in Strömen geflossen und die Arbeit ist einfach von der Hand gegangen.
Aber wie es so kommt. Mit der Zeit sind die Älpler übermütiger geworden und sie haben gemeint, sie können ohne Schutz und Segen Gottes da oben sein und tun wie sie wollen. Weder um Beistand noch zum Dank haben sie zum allmächtigen Gott gebetet. Am Abend gingen sie ohne Betruf ins Bett. Und am Morgen sind sie ohne gutes Wort aufgestanden.
Einmal haben sie ein grosses Fest gemacht. Sie haben einen Haufen Leute vom Tal auf die Alp eingeladen. Damit die Gäste ja keinen Umweg machen mussten, haben sie aus den grössten Käselaiben und den schönsten Ankenbollen eine Brücke über den See gemacht. Und so die Gaben Gottes verschüttet. Den ganzen Tag haben sie gefressen und gesoffen. Über den Herrgott haben sie nur gespöttelt. Bis tief in die Nacht hinein haben sie getanzt und den Cheib getrieben.
Das hat es aber nicht mehr leiden mögen (nicht mehr verlitten). Noch in der gleichen Nacht ist auf dieser Alp ein schweres Unwetter losgegangen. Von allen Seiten sind Bäche und Ribenen (Erdrutsche) gekommen und haben alles, sei es Mensch oder Vieh, samt der Hütte, zusammengefegt und in den See hineingeschwemmt. Der Wind hat das Wasser aufgepeitscht, dass es haushohe Wellen gegeben hat. Der See ist gestiegen und gestiegen, bis er auf der einzigen offenen Seite über die Alp hinaus und über die Felsen runter ins Tal geschossen ist und dort die schönen Matten am Evibach überschwemmt hat.
Seitdem wiederholt sich das Unglück alle 30 Jahre und erinnert so an den Frevel von der Seewlialp.
Der abgehauene Zopf
Furchtbar wurde ein Bauer vom Toggeli belästigt. Jede Nacht kam es und drückte ihn; er sah es nicht kommen, aber fortgehen in Gestalt einer Katze. Wenn es auf ihm lag, konnte er sich nicht rühren, konnte nicht rufen, obwohl er wach war. Dem wollte er doch endlich abhelfen. Er legte ein Skapulier an und nahm einen Gertel (Haumesser) zu sich ins Bett. Als um Mitternacht die Katze über die Bettdecke herauf trippelte, holte er mit dem Gertel aus und schlug der fliehenden Katze in den drei höchsten Namen den Schwanz ab. Sie liess einen furchtbaren Schrei hören. Jetzt wollte er den Schwanz suchen, konnte ihn aber um keinen Preis finden, nur Blutspuren waren da. Am folgenden Morgen hatte seine Frau den Kopf mit einem Lumpen verbunden. Das war noch nie vorgekommen. Warum sie heute den Kopf verbunden habe, fragte er, worauf sie ihn anschnauzte, das gehe ihn nichts an. Da riss er ihr von hinten das Tuch ab und entdeckte, dass sie ihren Haarzopf verloren hatte.
Wenn man ein Skapulier trägt, kann einen das Toggeli nicht plagen. Sobald man die drei heiligsten Namen denkt, muss es aufhören, zu drücken.
Untergang von Rinderbüel
Zu Rinderbüel im Maderanertale, da liegt, unter mächtigem Steingeröll begraben, ein ganzes Sennten.
Dort rief es eines Abends, als die Älpler die Kühe molken, von der jähen, unheimlich ob den Hütten drohenden Felswand herab: »I lah’s la gah.« Der Senn setzte beide Hände in Trichterform an den Mund und rief durch dieses Sprachrohr zurück: »Dä magsch scho nu g’ha!« (halten). Am nächsten Abend erscholl die Stimme wieder: »I müess la gah,« und noch einmal antwortete der unerschrockene Senn: »Mal jetz häb nu ä chly!« Der dritte Abend war eingezogen in der stillen Alp, die letzte Kuh wurde gerade gemolken, aber das ganze Sennten stand noch wiederkäuend beieinander, da schrie es wieder von der überhängenden Felswand herunter mit furchtbarer drohender und doch fast bittender Stimme: »Jäh, i müess la gah!« Der Senn rückte eben den einbeinigen Melkstuhl unter der Kuh weg, stellte sich mit dem vollen Eimer in der Hand auf und rief hinauf: »So lach’s äbä la chu!« Und im Augenblick berstete krachend der Felsen, fiel donnernd und Funken sprühend herunter und begrub das ganze herrliche Sennten mit dem Senn und den Knechten unter haushohen Trümmern und Steinblöcken. Nur der Hirt und ein rotes Trychelchüehli, die einzige Kuh einer armen Witwe, entkamen. Die Kuh war zufällig schon unten am Bache auf der Weide.
Das Greis in der Fiseten
Früher herrschte in der Hirti zu Fiseten – ennet der Märcht – das Greiss viel ärger als heutzutage. Hätten aber die Hirten den Rat eines Kapuziners befolgt (nach andern war es ein fahrender Schüler), so wäre das Greis wahrscheinlich verschwunden.
Einmal hatte die Krankheit wieder viele Opfer gefordert. Da holten die Hirten einen Kapuziner. Sie baten ihn, das Greiss zu verbannen. Dieser segnete die Alp, zeigte neben der Hütte auf drei Stücke Holz. Er befahl ihnen, in der nächsten Mitternachtsstunde aus den drei Holzstücken ein Feuer anzuzünden. Wenn das Feuer dann brenne, so sollen sie den Erstbesten, der komme – und seine Pfeife am Feuer anzünde und anfange zu tubäklen (rauchen), sofort packen und ihn ins Feuer werfen. Auch wenn es der beste Freund ist.
So haben sie es gemacht. Sie zündeten nächste Nacht das Feuer an, da hörten sie um die Mitternacht plötzlich auf dem Fisetengrat ein Jauchzen. Es war die bekannte Stimme des Uorech Franz (des Uorechli), der ein weisses Pferd auf der Alp sömmerte. Sie fragten verwundert: »Will jetzt der Uorech Franz schon sein Rösslein holen? Das Jauchzen ertönte immer näher und der Franz stand bei den Hirten am Feuer. Er schürte mit seinem Stock in der Glut und nahm eine Kohle. Damit zündete er sein Pfeifchen an und fing an zu tubäklen (rauchen). Er fragte, wo sein Rösslein sei.
Die Knechte schauten einander nur verlegen an und sprachen kein Wort. Keiner hatte den Mut, den guten Franzi (Uorechli) ins Feuer zu werfen. Nach einer Weile entfernte sich dieser. Er sprang plötzlich mit einem einzigen Satz auf den haushohen Stein neben der Hütte. Er streckte sein Fittlä (Po) dem Feuer zu, er lachte schauerlich und rief höhnisch: »Ihr habt den Richtigen gehabt, ihr hättet ihn doch packen müssen!« Da sahen sie, dass er Horn und Schwanz hatte. Plötzlich war er weg, ein unausstehlicher Schwefelgeruch drang den Älplern in die Nase. Erst jetzt merkten sie, dass es der Teufel gewesen war. Sie haben sich nur noch an den Haaren kratzen können.
Am nächsten Morgen schauten sie auf dem Stein nach. Dieser war so gross, dass er nur mit Leiter erstiegen werden konnte. Sie sahen, dass ein Rinderfuss vom Teufel eingedrückt war. Und der ist heute noch zu sehen.
Urispiegel und der Teufel
Der Urispiegel, in der Mundart »Ürispiägel« genannt, war dem Teufel verfallen. Jedes Jahr kam der letztere, um ihn abzuholen; aber der Urispiegel schlug immer wieder eine Wette vor oder verlangte ein Kunststück vom Höreler und sagte: »Wenn du die Wette gewinnst oder das Kunststück zustande bringst, so will ich mit dir kommen, andernfalls musst du mir eine Gnadenfrist zugestehen.«
Der Urispiegel verlangte, er müsse schwarze Wolle weiss waschen. Der Teufel machte sich an die Arbeit und rieb eine dicke Steinplatte durch, aber die Wolle blieb schwarz, und unwillig legte er die Arbeit auf die Seite mit den Worten: »Sübiri wär-si, aber wyssi will-si nitt wärdä.«
Das andere Jahr hätte er von einer Sau Wolle scheren sollen. Aber die Sau schrie und die Borsten waren nicht Wolle; da wurde der Teufel wild und schnerzte: »Meh Gschrei as Wullä«, und gab es verspielt.
Äs andersmal hätt er sellä mit Yschzäpfä-n-afyrä. Sowyt heigers doch pracht, dass grochä heig; aber achu heigs nitt wellä. Und darnah heig-er gseit: »Rychä täts! wennds achunnt, sä brinnts.«
Wieder stand er vor der Aufgabe, einen Furz durch ein Barnenloch hindurch zu fassen und zu knüpfen oder einen »Lätsch« hinein zu machen. Urispiegel legte sich in den Barnen und liess einen durch das Barnenloch fahren. Eine Weile machte der Teufel allerlei Manöver, dann aber meinte er resigniert: »Gheert hanä und gschmeckt ha-nä äu, aber gryffä cha-nä nitt.«
Der Urispiegel hatte den Teufel ganz in der Gewalt und traktierte ihn heillos. So verlangte er einst drei Kunststücke auf einmal von ihm: Er musste mit einer gläsernen Schaufel Steine klopfen; das brachte er zustande. Ein zweites Stück gelang ihm auch, und dem Urispiegel wurde es schon angst. Aber das dritte: Sagmehl zu knüpfen, war ihm unmöglich. Er musste bekennen: »Das chani nitt, das Sagmähl isch ja vill z’churzes!«
Auch im folgenden Jahre stellte ihm der Urispiegel eine dreifache Aufgabe, welcher er sich nicht gewachsen zeigte: Ysäweggä lind zu sieden, Schiesspulver anzuzünden ohne in Brand zu stecken, und Sagmehl in ein Heugarn zu fassen.
Einmal hätte er eine Biene erschaffen sollen. Tatsächlich brachte er ein kleines, geflügeltes Tierchen zu weg. Er sagte zu ihm: »Flyg«, und da war es eine Fliege.
Der Urispiegel war nie verlegen. Als ihn der Teufel wieder einmal packen wollte, sagte er: »Wenn du mir drei Dinge bringst, die ich dir bezeichne, so will ich dein sein, sonst musst du noch ein Jahr auf meine Wenigkeit verzichten.« Der Teufel ging auf das Angebot ein, und der Urispiegel schickte ihn, die folgenden drei Dinge herzuschaffen: Holz von einer Kanzel, auf der noch nie gelogen wurde, Milch von einer keuschen Jungfrau und einen Zopf von Krötenhaaren. Aber der Urispiegel bekam keinen von diesen drei Gegenständen zu sehen, und der Teufel liess den Schwanz hangen und trottete ohne Beute davon.
Im nächsten Jahr erschien der Teufel, als die Leute gerade die Kartoffeln pflanzten, und traf den Urispiegel in seinem Erdäpfelgarten und wollte ihn nehmen. Da machte der Urispiegel einen Vorschlag zur Güte: »Wir wollen diesen Garten je zur Hälfte miteinander nutzen. Welcher von uns beiden den grössern Ertrag daraus zieht, hat gewonnen.« Der Teufel ging auf den Handel ein. »Welche Hälfte willst du, die obere oder die untere?« fragte der Urispiegel. »Die untere«, entschied sich der Gehörnte. Da pflanzte der Urispiegel Korn statt Kartoffeln, und im Herbst hatte der Teufel die Wurzeln und der Urispiegel die Ähren. Im folgenden Lanxi wollte es der Teufel anders haben, er begehrte die obere Hälfte. Da steckte der Bauer Kartoffeln, und der Teufel musste am Herbst mit dem Kraut fürlieb nehmen und den Urispiegel auf Erden zurücklassen.
Jetzt wollte aber der Teufel den Stiel umkehren und als er kam, um den Urispiegel zu nehmen, sagte er siegesgewiss: »Jetzt will ich einmal die Aufgabe stellen. Wenn du mir nicht ein Tier zeigen kannst, das ich nicht kenne, so gibts keinen Pardon.« Der Urispiegel erschrak im ersten Augenblick, dann aber ging er heim, zog seine Frau nackt aus, bestrich sie mit Honig und wälzte sie dann in einem Haufen Hühnerfedern herum. Als der Teufel kam, zeigte er ihm diese aussergewöhnliche Gestalt und fragte, ob er das Tier kenne. Der Gefragte beschaute das Ding eine Weile und bekannte dann: »Nei, ä sonnes Tiär, wo ds Ütter zwischet dä Vorderbeine obä het, hani doch nu keis gseh.« So hatte der Urispiegel wieder eine Jahresfrist gewonnen. Zuletzt ging er aber doch dem Teufel in die Schlinge, aber wie das zuging, weiss ich nicht.
Der Hellgässlihund
Vor Zeiten lebte im Hellgässli in Altdorf ein gewissenloser Fürsprecher. Der spottete über den Herrgott und seine Gerechtigkeit. Er plagierte (prahlte): »Wenn ich einst sterben muss und ich an die Himmelstüre komme und der Sankt Petrus grade hinausschaut, dann werde ich rasch meinen Hut hineinwerfen und mich daraufsetzen. So sitze ich auf meinem Recht und Eigentum. Niemand darf mich dann hinauswerfen.«
Aber es scheint, dass ihm das Kunststück nicht gelungen ist. Seit dieser Zeit wandelt er nämlich als grosser schwarzer Hund mit einem riesigen, feurigen Auge auf der Stirne durchs Hellgässli und andere Gassen von Altdorf. Das Auge ist so gross wie eine Butzenscheibe. Deshalb sagt man ihm auch den Butzen- oder Glasscheibenhund.
Andere erzählen die Geschichte wieder so. Er habe jeweils geprahlt, »wenn ich in die Ewigkeit rüberkomme und sie mich reden lassen, dann komme ich gewiss in den Himmel.« Aber als er dann tot war, habe man ihn hier auf der Erde als schwarzen Pudel herumwandeln gesehen. Und wenn man ihn angesprochen habe, dann habe er zur Antwort gegeben: »Ja, sie haben mich eben nicht reden lassen.«
Leute, die dem Glasscheibenhund begegnet sind, beschreiben ihn so: Er habe auf der Stirn ein glühendes Auge gehabt und er sei immer auf der linken Seite an einem vorbei, nie auf der Rechten. Einige meinten, es sei doch ein Teufel. Andere, er müsse eine arme Seele sein, die nicht erlöst werden konnte und deshalb müsse sie jede Nacht von Flüelen bis auf den Gotthard wandeln, und sie dürfe sich dabei nie erstellen.
Der wandelnde Kuhhirte
Zu Alpgnof im Maderanertal bemerkte der Küher im Sommer immer wieder einen unbekannten Mann in grauwollener Kleidung mitten im Vieh. An seiner linken Seite trug dieser eine Gläcktasche (Futtertasche) und mit der rechten Hand langte er hinein, nahm Gläck heraus und verteilte es den Kühen. »Mit dem muss ich einmal sprechen,« sagte der Küher zu den anderen Knechten.
Wirklich redete er eines Tages den Unbekannten an, behielt sich aber das erste und das letzte Wort vor, denn es war ihm klar, dass er es mit einem Geist zu tun habe. Der Geist erzählte ihm: »Ich war vor vielen, vielen Jahren Küher (Hirte) auf dieser Alp. Unter dem Sennten hatte ich eine Kuh, die mir besonders lieb war. Jedes Mal, wenn ich allen Tieren zu lecken gegeben hatte, habe ich meine Hand, statt sie im Gras abzuwischen (was gerecht und unparteiisch gewesen wäre), meiner Lieblingskuh zum Abschlecken hingehalten.
Dafür muss ich jetzt wandeln. Und ich muss den Kühen dieser Alp zu lecken geben und immer meine rechte Hand im Grase abwischen, bis ich erlöst bin.«
Man liess dann für den Hirten eine heilige Messe lesen. Worauf er nicht mehr erschien. Noch heute sagt man unter den Bauersleuten, dass sich der Kuhhirte zu Schulden kommen liess. Es ertrage hier halt nicht viel. »Das het mä-n-immer gseit, uf dä Alpä. Äs erlydet’s gwiss nitt vill. Und das müess äsoo sy!«
Die drei starken Brüder
Drei sehr starke Brüder, genannt die Portnerbuben, wohnten vor Zeiten im Fuhrport zu Spiringen. Sie waren keine Riesen, nicht viel über Mittelgrösse, aber ihre Brustkörbe hättet ihr sehen sollen! und ihre sehnigen Arme! Nerven hatten sie wie die Rosse! Bis zum 20. Altersjahre mussten sie keinen Werkstreich schaffen. Nackt streckten sie sich vor ihrem Hause im Sonnenschein auf der faulen Haut aus, und wenn die Mutter Anken einsott, tranken sie von dem frischgesottenen Anken und salbten und rieben auch Rücken und Arme damit ein.
Einst kam ein furchtbarer Riese über den See nach Altdorf und entbot die Urner zu einem »freundlichen Schwinget«. Niemand wagte es, mit ihm anzubinden. Der Vater der drei Brüder weilte gerade in Altdorf, und der Landammann von Uri liess durch ihn den dreien erbieten, ob sie nicht des Landes Ehre retten wollten. Lange haben sie miteinander »g’stucket«, welcher von ihnen dem Aufgebot folgen solle; der älteste und stärkste hiess den zweiten gehen und dieser den jüngsten und schwächsten. Nicht etwa, weil sie sich fürchteten, sondern weil sie glaubten, der jüngste sei noch lange stark genug.
Endlich entschied die Mutter den Streit; sie hiess den mittleren gehen, weil er jeweilen den gesottenen Anken im Chessi um zwei Fingerbreiten tiefer hinab getrunken habe. Doch begleitete ihn der älteste. Sie trugen kurze Kittel und weisse Zipfelkappen. Der Landammann lud ihn zum Mittagessen ein, aber er sagte, er wolle es zuerst verdienen. Als er auf dem »Platz« anlangte, kam gerade der fremde Riese, brüllend wie ein Stier, auf allen Vieren durch das Dorf hinauf, riss Bsetzisteine aus der Strasse und warf sie wild um sich. Der Schächentaler, nicht faul, machte ihm dieses Kunststück nach. Als sie beim Löwen aufeinander stiessen, da war es dem Riesen zu wenig, mit dem verhältnismässig kleinen Gegner nur einen »freundlichen« Schwinget auszumachen, und er forderte ihn zu einem Schwinget auf Tod und Leben heraus. Furchtlos ging der Schächentaler darauf ein. Mit einem kühnen, raschen Griff packte er den Riesen unter der Achsel, dass dieser aufbrüllte, drückte ihm die Brust zusammen wie einen Korb und schleuderte ihn rücklings über den Kopf hinweg über den Dorfbach hinüber auf das Strassenpflaster, dass er die Kopfschale zerbrach und tot liegen blieb.
Jetzt ging der tapfere Bursche mit dem Landammann zum Essen, schlug jedoch eine angebotene Belohnung aus. Erst auf erneutes Drängen meinte er, man könne ihm ja etwas Salz geben. Man liess ihm ein ganzes »Röhrli« herausholen, und der wackere Kämpe nahm es auf die Achsel und wanderte dem Schächentale zu. Bei Trudelingen hüpfte er mit samt seiner siebenzentnerigen Last in die Höhe und schüttelte mit einer Hand von den herabhängenden Ästen eines Baumes Nüsse herab.
Die Brüder hatten in Altdorf und Bürglen viele Feinde. Der weniger starke wurde einst zu Bürglen im Wirtshaus bei einer Tanzbelustigung angegriffen und zutode traktiert, aber von dem ältesten blutig gerächt.
Von einem Venediger
In einer Alp im Reusstal sind eines Abends ein Senn, ein Hirt und ein Knecht beieinander gewesen, wie das so üblich ist. Da sei ein fremder Herr zu ihnen in die Hütte gekommen und habe sie gefragt, ob er etwa ein oder zwei Tage bei ihnen übernachten und an der Kost sein dürfe. Ach, das könne er schon, habe der Senn gesagt, wenn er mit der Kost und dem «Gliiger» (primitive Schlafstelle in einer Alphütte), das sie hätten, zufrieden sei. Platz habe es ja schon. Der Herr habe gemeint, ja ja, er sei schon zufrieden, sie müssten seinetwegen keine Umstände machen, und sei geblieben. Als sie ihn gefragt hätten, woher er sei, habe er gesagt: «Aus Venedig.»
Am nächsten Morgen sei er beizeiten aufgestanden, habe einen Sack auf den Rücken genommen und sei losgezogen und den ganzen Tag weggeblieben. Am Abend sei er wieder gekommen mit dem Sack voller Steine, habe sie ihnen gezeigt und gemeint: Aus diesen wolle er jetzt in Venedig ein schönes Vermögen machen. In der Nacht habe der Senn gedacht «Ah, jetzt nimmst du ihm ein paar von diesen Steinen, der merkt das nicht, und dann gehst du später auch mit ihnen nach Venedig und schaust, wie viel du dafür bekommst.» Ist aufgestanden und hat zwei, drei von den kleineren Steinen aus dem Sack genommen und zur Seite gelegt.
Am Morgen habe der fremde Herr seine Steine noch einmal angeschaut, aber nicht erahnen lassen , dass er etwas merken würde, und danach habe er die Älpler gut und recht bezahlt, habe sich bedankt und sei fort, wahrscheinlich Venedig zu.
Im Herbst, wie die Alpzeit vorbei und die grösste Herbstarbeit erledigt gewesen ist, habe der Senn «seine» Steine auch zusammengepackt und sei auch nach Venedig gegangen. Wie er in die Stadt hineingekommen sei, habe ihm jemand von einem schönen, hohen Haus hinuntergerufen. Er sei stehengeblieben, und wie er hinaufgeschaut habe, habe er sofort den fremden Herrn erkannt, der im Sommer bei ihm auf der Alp gewesen ist. «So, kommst du jetzt mit deinen gestohlenen Steinen», habe ihm der Herr hinuntergerufen. Da sei es dem Senn nicht mehr so wohl gewesen, das könne man sich ja denken. Aber der Herr sei freundlich gewesen und habe zu ihm gesagt, er solle nur heraufkommen, es würde ihm nichts Böses passieren. Schliesslich seien sie zu ihm auf der Alp ja auch freundlich gewesen. Und er sei hinauf, und da habe ihm der Herr Speise und Trank aufgetischt und ihn gebeten, zuzugreifen. Gut, er habe sich nicht mehr lange bitten lassen und habe wacker zugegriffen und mit Appetit gegessen und getrunken.
Und danach habe der Herr zu ihm gesagt, er solle jetzt zu einem bestimmten Haus gehen mit seinen Steinen und dort solle er sagen, sie sollen ihm so viel geben, wie sie wert sind. Gut, er sei gegangen und habe das Haus auch wirklich gefunden und eine Menge Geld für seine Steine bekommen.
Wie er wieder zum Herrn zurückgekommen sei, habe ihn dieser gefragt, ob er jetzt nicht gerne bald zu Hause wäre? «Doch», habe er gemeint, «je schneller, desto lieber!» Und da sei der Herr mit ihm zuoberst in das Haus hinauf und habe dort eine Kammertüre aufgemacht. Da sei es ganz dunkel drin gewesen und alle Fensterläden seien geschlossen gewesen. Da solle er jetzt hineingehen, habe ihm der Herr gesagt, und die ganze Nacht im Dunkeln rundum gehen, aber er dürfe nie stehen bleiben, immer nur gehen, und erst, wenn er denke, es könnte gegen den Morgen zugehen, solle er die Fensterläden öffnen.
Nun, er sei hinein, und der Herr habe die Kammertüre von aussen verriegelt und sei fort. Der Senn sei dann, wie befohlen, die ganze Nacht ohne stehenzubleiben in dieser Kammer rundum gegangen, und wie er gedacht habe, der Tag würde anbrechen, habe er die Läden aufgemacht, und da habe er aus seinem eigenen Häuschen hinausgeschaut, und im Wassner Dorf unten habe es gerade zum Beten geläutet. Das sei da einfach und schnell gegangen Gut, jetzt wäre er freilich ein reicher Mann gewesen. Aber man sagt nicht umsonst: Wie gewonnen, so zerronnen.
So sei es diesem Senn auch ergangen. Dazu Sorge tragen, habe er nicht können. Er habe den Herrn gespielt, und in wenigen Jahren sei alles vergeudet gewesen. Da habe er gedacht: «Jetzt gehst du schauen, ob du nicht selber solche Steine findest?» Und er sei los auf die Alp hinauf und habe gesucht und sei dann auch zu einer «Gand» (Stein- oder Geröllhalde) gekommen, da solche kuriosen Steine dringelegen haben. Die hätten geglitzert und seien so eigenartig schwer gewesen. Da habe er gedacht: «Das könnten die richtigen sein» und habe alle Taschen mit diesen Steinen gefüllt und sei sofort wieder los nach Venedig.
Die Steine seien aber merkwürdig schwer gewesen. «Die müssen mir jetzt nicht alle Taschen zerreissen», habe er zu sich selber gesagt, und zwei, drei unterwegs weggeschmissen.
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In Venedig sei er wieder bei dem Herrn vorbei, und alles habe sich wieder genau gleich abgespielt wie beim ersten Mal, und wieder habe er eine schöne Menge Geld für die Steine bekommen.
Aber nach ein paar Jahren sei alles schon wieder beim Teufel gewesen. «Ja nun», habe er gedacht, «diese
Der Hexenstein
Isenthal hiess vor langen Zeiten Wiesental. Dies hat allemal und oft das alte Furggälä-Vreni gesagt. Die stotzigen Tobel und die Ribitäler (Bergsturztäler) auf der Nordseite des Tals bestanden damals noch nicht. Eines Nachmittags hagelte es von 3 bis 6 Uhr und es verwüstete das Tal. Es entstanden die grausigen Ribitäler.
Das Dörflein und das hölzerne Kirchlein wurden durch die Ribi total zerstört. Sie lagen damals westwärts des «tosenden Steins». Darauf baute man die Kirche weiter vorne, im Heimgut Luss und später im Gummen, wo die Kirche jetzt noch steht. Der Kirchenpatron ist von jeher der hl. Bischof Joder oder Theodul.
Einmal, lange vor dem Ribi-Unglück, brachte eine Hexe in ihrer Schürze einen fürchterlichen Stein vom Baberger-Schoss bis ob das Gut Weid. Dort stellte sie den Felsstein nieder. Die Hexe band ihn an einen Faden und zog an ihm, so viel sie mochte. Eine andere Hexe stiess hinten am Stein. So fuhren sie mit dem Felsblock abwärts gegen das hölzerne Kirchlein, das damals nur wenige Schritte westwärts des «tosenden Steines» gestanden haben soll. Aber die Einheimischen erblickten die bösen Hexen. Sie liefen zur Kirche und läuteten mit den Glocken.
Da rief die Hexe, die am Felsblock zog: «Lunni stoss» und die andere Hexe entgegnete: «Ich mag nicht mehr stossen, die Säuliglocke schreit» («Ich mag nimmä g`stossä, ds Sywli gysset.») Beide Hexen verschwanden, aber der Felsblock blieb oberhalb dem Haus Weid liegen, wo er heute noch steht. Man sieht bis heute die tiefen Eindrücke der Hexen-Krallen.
Ein anderes Mal schüttete eine Hexe Wasser an den Stein und es gab eine Ribi, worauf Hexe und Stein abwärts fuhren gegen Kirche und Dorf. Aber nicht ganz so weit. Denn der wachsame Sigrist läutete die grosse St. Jodersglocke, und da hielt die Ribi (Muhrgang) in ihrem Laufe inne, und die Hexe schrie zornig: «Ich komme da nicht weiter, die Joderglocke läutet.» («Ich kumä nimmä wytters, der Joderli tschängget».)
Die Wildmännli im Isental
Im Isenthal gab es vor Zeiten viele wilden Leute (Wildmännli). Die meisten bewohnten die Ruosstalbalm, auch Heidenbalm genannt, und das Hornefeli. Die Gämsen hielten sie für ihre Ziegen, hüteten und molken sie. Ihre Freunde und Gönner beschenkten sie mit Gäms-Käschen, die immer wieder nachwuchsen, wenn man sie nicht ganz aufass.
Als die ersten Jäger ins Tal kamen und anfingen, die Gämsen zu schiessen, da wurden die wilden Leute traurig. Sie weinten und sagten laut klagend: «Jetzt töten sie alle unsere Geisslein, jetzt müssen wir fort!» Mit den Leuten des Tales standen sie auf gutem Fusse. Sie kehrten in ihre Häuser ein und waren ihnen beim Heuen und Viehhüten behilflich. Die Männlein hatten verkehrte Füsschen. Wenn man zum Beispiel morgens in das Kleintal hineinging, so erblickte man die Fussspuren eines Männchens, das taleinwärts gegangen sei. Doch in Wirklichkeit war es ein Wildmandli, das talauswärts gewandert war.
Einmal näherten sich einige wilden Leute einer Alphütte (nach anderer Erzählung dem Berghäuschen Hermisegg), wo sie manchen guten Dienst geleistet hatten. Die Älpler waren gerade am Essen und hatten das russige Chupferchessi mit Nidelreisbrei (oder ein Muttli voll Milchsuppe) auf dem Tisch, als sie die Wilden kommen sahen. Mit denen wollten sie aber nicht teilen. Also rasch mit dem Chupferchessli (oder dem Muttli) unter die Bank! Eine ganze Weile warten die Wilden auf sie. Dann aber entfernen sie sich, indem sie höhnisch fragen: «Wollt ihr heute Abend unter den Bänken essen?» («Wend-er hinecht under dä Bänkä-n-ässä?»)
Das Wildmännchen und die Gämsen
Es ging im urnerischen Isenthal ein Gämsenjäger auf die Jagd. Plötzlich stand ein Wildmännchen vor ihm und bat eindringlich, seine Gämsen nicht zu schiessen. Es wolle ihn dafür reichlich schadlos halten und er werde den Lohn bekommen.
Das gefiel dem Jäger, der sich und seine Familie mit der Gämsenjagd ernährte. Er befolgte den Rat. Das Wildmännchen gab ihm dafür ein kleines Gämse-Käschen mit der Mahnung, es niemals ganz aufzuessen. Der Käse werde immer am kommenden Morgen wieder ganz sein. So gehe es ewige Zeiten weiter. Das Abgeschnittene werde sich allemal wieder ersetzen. Der Jäger hielt sich lange Zeit an diese Vorschrift. Aber einmal hatte er vor grossem Hunger das ganze Käslein aufgegessen. Am nächsten Tag hatte er kein Käslein mehr. Der Jäger war wieder gezwungen, auf die Jagd zu gehen. Doch dann wurde er vom Wildmännchen, weil er ihm die Gämsen niederschoss, zerrissen (z’Huttlä und z’Fätzä geschlagen).
Durchs Kamin hinauf – und nirgends an
Im Birchi, im ersten oder zweiten Häuschen am alten Landweg lebten vor alten Zeiten zwei Jungfrauen von etwas wunderlichem Wesen. Sie besassen einen schönen Kirschbaum, den einzigen damals im ganzen Tale. Es verwundert nicht, dass die lüsternen Talleute manchmal gerne ein paar Kirschen gegessen hätten. Aber selten wagte jemand zu betteln und sie zu essen. Man traute den beiden Jungfrauen (Wybervölchern) und ihrer Freigiebigkeit nicht.
Ein junger mutiger Bursche wagte es. Er machte sich hinter das Becken voll Kirschen, das auf dem Stubentisch zum Essen bereit war.
Da. Auf einmal trieb es ihn unwiderstehlich zur Stube hinaus in die Küche. Hier standen die zwei hübschen Jungfrauen am Herd. Sie rührten wie besessen an einem Häfelchen (Kochtopf) und murmelten dazu: «Chämi üff und niäänä-n-a». Jetzt lüpfte es den Burschen hoch, und es fuhr mit ihm schnell durchs Kamin hinaus über alle Berge – durch die Lüfte – und fort in die unendliche Ferne, bis er in einem ganz anderen Weltteil im dichtesten Dornengestrüpp zu Boden kam und stecken blieb.
Da stand er. Er wusste nicht, wo aus und ein. Zuletzt fing er an zu beten und die Muttergottes um Hilfe anzuflehen. Auf einmal stand eine schöne, weiss gekleidete Frau vor ihm und zeigte mit der Hand die Richtung, die er gehen sollte und sie verschwand wieder.
Drei Tage und drei Nächte wanderte der Isenthaler und er erreichte schliesslich ein ihm unbekanntes Kloster. Er klopfte an die Pforte. Freundlich wurde er aufgenommen, aber niemand kümmerte sich um ihn, keiner verstand seine Sprache. Da führten sie ihn vor den Höchsten im Kloster. Dieser sass auf einem schönen Stuhl und hatte ein grosses, mächtiges Buch auf seinen Knien aufgeschlagen, das Weltbuch. Der Isenthaler fragte ihn nach dem Wege zur Heimat. Er erzählte auf, dass eine schöne, weisse Frau ihm die Richtung hierher gezeigt habe. Der fromme Mönch erklärte: «Niemals und wenn du hundert Jahre alt würdest und jeden Tag zehn Stunden wandern würdest, könntest du dein Vaterland erreichen, wenn ich dich nicht segnen würde.» Und er hob seine Rechte, segnete ihm und legte ihm ein geweihtes Skapulier an (Halstuch). Der Bursche machte sich wieder auf die Reise und kam nach langer Zeit in seinem geliebten Isenthal an, mit seinen grünen Wiesen und dunklen, würzigen Tannenwäldern.
Der Unbekannte auf dem Hag
Auf der Alp Baberg – unter den hinteren Baberghütten – ist das Hell-Loch (Hell=Hölle), das furchtbar tief in den Erdboden hineingeht und das mit einem Hag umgeben ist.
Eines Tages sass auf diesem Hag ein Unbekannter, der einen Salzkübel (ein Miätsack, sagt man gewöhnlich) bei sich hatte und den Kühen lockte. Die Kühe kamen näher, und sie wollten lecken. Das sah der Senn, der soeben käste. Er liess sofort den Käse fallen, und er sprang eiligst vor die Hütte und rief laut und fromm: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.«
In dem Moment purzelte der Unbekannte in das Loch hinunter und verschwand. Hätte der Senn nicht so gerufen, so wäre das ganze Vieh zum Loch gerannt und es wäre reingefallen und tief drinnen zugrunde gegangen. »Das sind so alte Sagä; jetz seitä-mä, äs syget Märi.«
Der Manschettler als Schimmelreiter in Isental
Das Gebiet von Gitschenen soll in früheren Zeiten oft von der sagenhaften Gestalt des Manschettlers oder Schimmelreiters heimgesucht worden sein. Auf einem weissen Rosse kam er zur Nachtzeit geritten vom Fruttkäppeli her am Eingang des Tales. Er ritt auf dem alten Weg durch das ganze Isental bis zur Alp Gitschenen oder umgekehrt von Gitschenen zum Fruttkäppeli. Der Kopf war durch einen grossen Schlapphut verdeckt. An den Rockärmeln glänzten weisse Manschetten. Unter den Hufen des Pferdes stoben Feuerfunken, in den zahlreichen Bäumen, an denen er vorbeisprengte, rauschte das Laub.
In Gitschenen mussten sie dem Reiter ein Zimmer und ein Bett bereithalten. Wenn er ins Bett ging, war sein Husten und Stöhnen zu hören. Man glaubte, es sei der büssende Geist eines ehemaligen Besitzers von Gitschenen, eines grossen Herrn von Altdorf (nach andern war es ein reicher Beroldinger).
Es sei um ein Berggut und die Alp Gitschenen zu Zeiten furchtbar gezankt und gar oft ungerecht geteilt worden. Eine Frau erzählte: «Als ich ein Kind war, habe ich den Manschettler oft gesehen, wenn ich in St. Jakob verstecken spielte. Er sass mit geneigtem Kopf auf der Schwelle der Gadentüre und hatte einen grossen Tellerschirmhut auf.»
Am meisten tauchte der Manschettler im Bärenwald und im Sonnighorlachen auf. Dort liess er den Leuten keine Ruhe, kam nachts und hantierte ungeniert, als ob er hier zu Hause wäre.
Zuletzt fragten sie jemanden um Rat, der sich auskannte. Dieser riet ihnen, einen Stock mit Eisenspitze in die Stubenwand zu stecken. Das machten sie, es half und sie hatten Ruhe.
Geistermesse im Kloser Seedorf
Als einst eine Klosterfrau oder eine Klostermagd in den Sodbrunnen neben der Klosterkirche hinuntergefallen, soll sie drunten einen Priester gesehen haben, der an einem Altar die heilige Messe las, und auf dem Altar haben zwei Kerzen gebrannt.
In Kriegszeiten haben die Klosterinsassen auch einmal in einem unterirdischen Raum die Monstranz mit dem Hochwürdigsten versteckt, und zwei Klosterfrauen hielten dabei Anbetung. Noch jetzt sollen 6 Kerzen vor demselben brennen und die zwei Klosterfrauen betend die Ehrenwache halten, wie an jenem Tage. Aber den Raum findet doch niemand.